Der perfekte Boss: Wie sieht gute Führung aus?

Die Kunst der guten Führung ist in Zeiten von Fachkräftemangel und digitaler Transformation wichtiger denn je. Über die perfekte Führungsstrategie der Zukunft wird aber noch gestritten.

Mancher Chef ist Fachexperte, aber kein Anführer

Dr. Timo Müller
  • Angestellte werden meist wegen ihrer fachlichen Kompetenz befördert
  • Als Vorgesetzte tragen sie jedoch auch menschlich Verantwortung
  • Auf Konfliktsituationen sind viele Führungskräfte nicht vorbereitet worden

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Sind fachliche Kenntnisse für eine Führungskraft wichtiger als psychische und emotionale Kompetenzen? Ich sage: Das Gegenteil ist der Fall. Doch tatsächlich erhalten in manchen Unternehmen Angestellte immer noch ausschließlich aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation Personalverantwortung. Auf eine Sachfrage richtig zu reagieren, ist aber etwas anderes, als eine Gruppe von Menschen anzuleiten und zu motivieren. Darauf deuten auch die Ergebnisse der Studie „Deutschland führt?!“ hin. Sie zeigen, dass sich 67 Prozent der Führungskräfte eine bessere Unterstützung durch die Personalabteilung wünschen.

Als Trainer und Konfliktexperte treffe ich regelmäßig auf Manager, die überfordert sind. Beispielsweise Abteilungs- oder Teamleiter, die ihre Mitarbeiter durch belastende Umstrukturierungsprozesse steuern sollen. Sie sind zwar Experten auf ihrem Gebiet, doch ihnen fehlen die Erfahrung und die Fähigkeit, mit Emotionen und Konflikten ihrer Mitarbeiter richtig umzugehen. Sie fühlen sich allein gelassen. Das belastet nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Teams – Fehlzeiten oder sogar Kündigungen sind die Folge.

Konflikte werden oft ignoriert

Die eigentliche Problematik beginnt meist schon, bevor eine Lösung für einen bestimmten Konflikt gesucht wird. Denn viele sich anbahnende Auseinandersetzungen werden von Führungskräften meist gar nicht als solche erkannt – oder von „denen da oben in der Hierarchie“ übersehen. Selbst wenn ein Teamleader darauf gestoßen wird, passiert häufig wenig. Denn mal ehrlich: Wie viele Abteilungs- und Teamleitungen sprechen gegenüber ihrer Geschäftsführung schon offen über die Konflikte in ihrer Organisationseinheit? Genau, sehr wenige. Um Unterstützung beim Lösen des Konflikts zu bekommen, müsste die Führungskraft die Personalabteilung einweihen – und damit vermeintlich Schwäche zeigen. Das gehört nicht gerade zu den Stärken von Chefs.

Zudem werden Streitigkeiten fälschlicherweise häufig allein dem Charakter des Gegenübers zugeschrieben. Ein gefährlicher Ansatz. Denn schiebt man nur einer Person die Schuld in die Schuhe, verstärkt das die Spannungen zusätzlich. Um einen Konflikt wirklich bearbeiten und lösen zu können, muss man ihn also akzeptieren und bereit sein, ihn offen zu betrachten.

Die Chefs von morgen müssen für ihre Rolle sensibilisiert werden

Ein Beispiel für schlechtes Konfliktmanagement ist es, wenn die Führungskraft in einem eskalierten Fall zwischen Mitarbeitern die Lösung anordnet. Denn ein solches Vorgehen untergräbt die Eigeninitiative der Beteiligten. Die Führungskraft sollte besser den Mitarbeiterkonflikt professionell begleiten und gegebenenfalls einen respektvollen Austausch zwischen den „Streithähnen“ ermöglichen.

Führungskräfte stehen sich also selbst im Weg. Ihnen ist meist nicht bewusst, was ihr Handeln anrichtet – und welche Kosten ihrem Unternehmen durch Konflikte am Arbeitsplatz entstehen können. Eine Untersuchung der renommierten österreichischen Wirtschaftskammer zeigt die enormen Ausmaße von Konfliktkosten. Diese liegen durchschnittlich bei 19 Prozent der Gesamtkosten eines Unternehmens. Dienst nach Vorschrift bis zu innerer Kündigung, mehr Fehlzeiten, höhere Fluktuationsraten, häufigere Projektverzögerungen, Kundenverluste et cetera, all dies teilweise verhinderbar! Es hält sich aber unglücklicherweise immer noch der Irrglaube, dass einfache Kommunikationskenntnisse und Alltagswissen ausreichen würden, um komplexe Konfliktsituationen des Arbeitsalltags professionell zu bearbeiten. Oft erlebe ich, dass Personalabteilungen an mich herantreten, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen und ein Fall schon stark eskaliert ist. Dann gibt es häufig eine Führungskraft, die wegen fehlender Konfliktmanagement-Kenntnisse Frühwarnzeichen einer Eskalation übersehen hat und ihr nicht aktiv begegnen konnte.

Unternehmen müssen umdenken! Personalverantwortliche sollten von ihren Firmen für ihre Rolle sensibilisiert und qualifiziert werden – auch für deren psycho-emotionalen Aspekte. So ein ganzheitlicher Ansatz wirkt sich positiv auf alle Beteiligten aus: auf die Gesundheit der Mitarbeiter, auf ihre Motivation und damit auch direkt wirtschaftlich auf das Unternehmen.

Ein erweitertes Verständnis von Verantwortung ist notwendig

Sicher, „Führungskräfte sind kein Mama- oder Papa-Ersatz“, und „Unternehmen sind keine psychotherapeutischen oder psychosomatischen Tageskliniken“, wie es eine Diskutantin einmal bei einer XING Gruppendiskussion formulierte. Dennoch tragen insbesondere Abteilungs- und TeamleiterInnen eben nicht nur für fachliche Fragen die Verantwortung. Sie sollten auch verstehen, ab wann psychische Belastungen die Arbeitsfähigkeit und -bereitschaft ihrer Mitarbeiter negativ beeinflussen. Sie müssen wissen, wie sich emotionale Krisen verhindern oder zumindest eindämmen lassen und wie sie selbst deeskalierend wirken können. Dazu braucht es spezifische Kompetenzen.

Doch zuvor muss sich etwas Grundlegendes tun: Das Verständnis von Führungsverantwortung, wie es heute ist, muss sich erweitern. Hier sind nicht nur einzelne leitende Angestellte gefragt, sondern auch Recruiter, Personalentwickler – und, als Hüter der Unternehmenskultur, letztlich auch der Vorstand.


Diskutieren Sie mit, liebe Leserinnen und Leser: Was macht für Sie einen guten Chef aus? Was würden Sie sich von ihrem Vorgesetzten wünschen?

Veröffentlicht:

Dr. Timo Müller
© IKuF
Dr. Timo Müller

Konfliktexperte (IKuF)

Der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler (Jg. 1975) leitet das IKuF - Institut für Konfliktmanagement und Führungskommunikation. Müller promovierte auf dem Feld der Konfliktforschung und unterstützt heute als Trainer, Moderator und Coach Führungskräfte im Bereich Konfliktmanagement und Mitarbeitermotivation. Zudem ist er Autor des Sachbuchs „Bevor der Sturm beginnt. Wie Führungskräfte effektiv Konflikte verhindern und bewältigen“ (Wiley, 2018).

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