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Jeder dritte Chef ist ein harter Hund

Der Chef soll menschlich sein und nicht nur harter Hund: Das predigen Berater seit Jahren. Doch jeder dritte Boss in Deutschland tritt so autoritär und grob auf wie eh und je.

Die engen Mitarbeiter von Martin Winterkorn können nur hoffen, dass ihr Chef in den nächsten Tagen gut gelaunt ist. In Frankfurt eröffnet die Internationale Automobilausstellung. Dort machte der oberste VW-Lenker vor zwei Jahren mit Muffelstimmung Furore.

Ein unbekannter Smartphone-Besitzer filmte, wie Winterkorn seinen Chefdesigner beim Probesitzen in einem Auto des Konkurrenten Hyundai heranzitiert und anpflaumt: „Bischoff, da scheppert nix.“ Gleich zweimal fragt der Boss unwirsch: „Warum kann’s der?“ Mehr als 1,8 Millionen Mal wurde das Video auf YouTube geklickt.

Autoritärer Chef piesackt Mitarbeiter, ganz ungeniert: In der Wirtschaftswelt von heute sind solche Führungskräfte die Ausnahme, könnte man meinen. Doch das stimmt nicht: Eine aktuelle Studie zeigt, dass in immerhin jedem dritten Chefsessel in Deutschland ein Mann – oder eine Frau – vom Typ „harter Hund“ sitzt. Er oder sie führt vor allem durch Zahlen und klare Ansagen – und ist der Auffassung, dass Gefühle und Empathie im Geschäftsleben keine Rolle spielen sollten.

Doch wo bleiben die Werte, wo die Gefühle, wo der Mensch bei allem Streben nach Erfolg? Solche Fragen sind besonders präsent, jetzt, da sich binnen Wochen gleich zwei Topmanager Schweizer Konzerne das Leben genommen haben: der Chef des Telekommunikationskonzerns Swisscom, Carsten Schloter, und der Finanzvorstand des Versicherers Zurich, Pierre Wauthier. Zu privaten Problemen kamen Erfolgsdruck, Einsamkeit, Versagensängste – ein gefährlicher Cocktail. Schloter und Wauthier, wiewohl mächtig und wohlhabend, sahen wohl keinen Ausweg mehr.

Druck ausüben ist nicht untypisch

Für die Forscherin Ursula Wagner sind diese Fälle erschreckende Beispiele dafür, was schiefgehen kann in Chefetagen. „Da haben hochrangige Führungskräfte einen enormen Druck gefühlt, womöglich gepaart mit wenig Rückhalt bei ihren eigenen Vorgesetzten“, sagt Wagner, die das Coaching Center Berlin leitet und Manager berät.

Druck ausüben, wenig Rückhalt geben, das ist gar nicht so untypisch, hat Wagner herausgefunden. Für ihre vor Kurzem veröffentlichte Doktorarbeit zu den „Dimensionen von Weisheit in Führung und Management“ hat die 49-Jährige 267 Manager aus verschiedenen Branchen, von Mittelständlern und Großunternehmen in Deutschland befragt. Herausgekommen ist ein differenziertes Psychogramm deutscher Chefs.

Nur 35 Prozent der Manager pflegen Wagners Untersuchung zufolge einen integrierenden Führungsstil. „Sie sind achtsam, emotional intelligent, am langfristigen Erfolg des Unternehmens ausgerichtet und leben ihre Werte sowohl im persönlichen als auch im beruflichen Bereich ungeteilt“, sagt Wagner. Am Institut für Psychologie der Universität Oldenburg hat sie einen Fragebogen mit 33 Fragen entworfen.

Überdurchschnittlich häufig bilden sich danach gerade die „weisen“ Manager musisch, körperlich und geistig weiter: „Sie reflektieren über sich selbst und das Leben und schöpfen aus Sinnquellen wie Religion oder Philosophie.“ Ergebnis sind kreativere und nach den Ergebnissen der Forscherin auch zufriedenere Mitarbeiter.

Telekom-Managerin – das gute Beispiel

Als Beispiel für eine „integrierende Managerin“ nennt Wagner Claudia Nemat, im Vorstand der Deutschen Telekom zuständig für Europa. Die Physikerin wird geschätzt für eine klare Kommunikation, die gepaart ist mit einer freundlichen, verbindlichen Art.

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Ganz anders bei den „harten Hunden“: Sie besetzen rund 33 Prozent der deutschen Chefsessel und unterscheiden überdurchschnittlich oft zwischen persönlichen Wertvorstellungen und dem, was sie im Beruf leben. Achtsamkeit ist bei ihnen wenig ausgeprägt, genauso wie ein Führungsstil, bei dem „weibliche und männliche“ Anteile gelebt werden, wie Wagner es ausdrückt.

Auffällig oft finden sich „harte Hunde“ unter den jungen Aufsteigern unter 44. Sie stimmen etwa häufiger als alle anderen Altersgruppen der Aussage zu, dass „die Diskussion um ethische Richtlinien im globalen Wettbewerb unrealistisch“ sei. Mehr Weisheit kommt der Befragung von Wagner zufolge in der Lebensmitte: „47-Jährige sind statistisch gesehen am reflektiertesten in ihrer Ethik.“

Ein Beispiel für eine „harte Hündin“ ist in den Augen von Wagner die neue Vorstandschefin von Yahoo, Marissa Mayer. Für sie zählten ausschließlich Zahlen, Daten und Fakten, die frühere Google-Managerin ist hart gegen sich selbst und andere.

„Ich werde ihnen die Herzen herausreißen...“

Mayer trat ihren neuen Posten schwanger an, gönnte sich nach der Geburt nur zwei Wochen Auszeit und informierte ihre Mitarbeiter per E-Mail, Heimarbeit sei im Konzern fortan unerwünscht. Es sei absolut notwendig, „dass wir alle in unseren Büros anwesend sind“, schrieb die Chefin – was noch geradezu freundlich im Ton war im Vergleich zum ehemaligen Vorstandschef der Pleitebank Lehman Brothers.

Als die Bank schon taumelte, drohte Richard Fuld Mitarbeitern, die Aktien verkaufen, in der Rhetorik übelster Diktatoren: „Ich werde ihnen die Herzen herausreißen und sie aufessen, noch bevor sie Zeit hatten zu sterben.“

Angriff ist die beste Verteidigung, diese Strategie ist aus der Tierwelt bekannt. So mancher Manager übersetzt sie in: nach unten treten – vor allem dann, wenn der Druck groß wird. Und gerade Vorstände sind oft in einer solchen Situation. Wulf Bernotat, Ex-Vorstandschef des Energieriesen E.on, weiß das sehr genau: „Der Druck auf Manager steigt seit Jahren enorm, weil die Erwartungshaltung von Aktionären, Mitarbeitern, den Medien und der Politik ständig gewachsen ist“, sagt Bernotat, der heute als Mentor für andere Manager tätig ist.

„Problematisch ist, dass nur die wenigsten Spitzenmanager auf ihre Aufgaben vorbereitet werden. Ob das Reden vor Tausenden von Mitarbeitern sind oder der Umgang mit einer gewissen Einsamkeit an der Spitze von Unternehmen, die meisten werden ins kalte Wasser geworfen.“

Familiäre Konflikte

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Einsamkeit ist tatsächlich ein Thema, vor allem für Spitzenkräfte. Je höher ein Manager aufsteigt, desto einsamer wird es um ihn oder sie. Ehrliches Feedback kommt oft nur noch aus einem engen Zirkel von Vertrauten im Unternehmen, von Freunden und Familie. Wenn diese Stützen bröckeln, wird es eng.

So erging es offenbar den beiden Schweizer Managern, die sich das Leben nahmen. Swisscom-Chef Schloter bekannte kurz vor seinem Freitod in einem ungewöhnlich offenen Interview, wie sehr er unter der Trennung von seiner Frau und seinen drei Kindern leide. Hinzu kamen Konflikte mit seinem Verwaltungsratspräsidenten.

Der Streit mit dem Chefaufseher wurde offenbar auch für Zurich-Vorstand Wauthier unerträglich. Er hinterließ einen Abschiedsbrief, in dem er dem einstigen Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann angeblich vorwarf, ein druckgeladenes Arbeitsumfeld geschaffen und Menschen respektlos behandelt zu haben. Ackermann reichte seinen Rücktritt ein.

Im Fall Wauthier blieben vermeintliche Demütigungen hinter verschlossenen Türen. Mitunter treffen sie selbst Vorstände aber auch in aller Öffentlichkeit. Siemens-Chef Peter Löscher musste das in diesem Sommer erfahren. Sein Finanzvorstand, Joe Kaeser, hatte über Monate halb öffentlich die fehlende Langfriststrategie des Traditionskonzerns beklagt – was eindeutig in Löschers Ressort fiel.

Chefwechsel bei Siemens

Richtig gefährlich wurde es für Löscher aber, als sich sein Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, selbst unter kritischer Beobachtung seiner Aktionäre, von ihm absetzte. Löscher, so Cromme in der Januar-Ausgabe des „Manager Magazins“, mache seine Sache „im Saldo sehr gut“. Die Gegner des Vorstandschefs konnten das als Einladung verstehen, die Negativseite der Löscher-Bilanz noch etwas aufzuladen. Ende Juli dann eröffnete Cromme dem Österreicher, er plane künftig ohne ihn. Kaeser wurde Löschers Nachfolger.

Ein Lehrstück für eine ebenso gefühlskalte wie autokratische Machtdemonstration lieferte 2004 beim Chipkonzern Infineon der damalige Aufsichtsratschef Max Dietrich Kley, bis Anfang 2013 ironischerweise auch Mitglied in der Regierungskommission für gute Unternehmensführung („Corporate Governance“).

Im Vorstand ruckelte es, Vorstandschef Ulrich Schumacher wollte sich von Finanzvorstand Peter Fischl trennen. Aber er hatte wohl dessen Seilschaften unterschätzt. Fischl hatte vor seinem Job bei Infineon, der ehemaligen Chipsparte von Siemens, praktisch seine ganze Karriere im Münchener Technologiekonzern absolviert. Und das Kontrollgremium war noch dominiert von Siemens-Veteranen.

Fischl bekam von Schumachers Ansinnen Wind und vermochte Kley auf seine Seite zu ziehen. Der verließ noch mitten in der Diskussion des Aufsichtsrats über das weitere Vorgehen die Sitzung, um Schumacher mit einer Entscheidung zu konfrontieren, die noch gar nicht gefallen war: Der Aufsichtsrat, so Kley sinngemäß, traue Schumacher die Führung des Konzerns nicht mehr zu. Ein Rücktritt sei wohl das Beste. Schumacher, damals 45 Jahre und heute designierter Vorstandschef beim österreichischen Lichttechnikspezialisten Zumtobel, fügte sich.

Gefahr für das ganze Unternehmen

Solche Kämpfe allerdings sind gefährlich, nicht nur für die Streithähne selbst, sondern für das ganze Unternehmen. Denn der Vorstand und sein Vorsitzender sind es, die den Führungsstil im gesamten Haus vorgeben, das weiß Maren Hauptmann aus Erfahrung. Die Expertin für Führungsfragen und Partnerin bei der Strategieberatung Roland Berger sagt: „Auf die Chefs schauen die Mitarbeiter und Führungskräfte sehr genau. Und sie registrieren mit feinen Antennen, was in Sachen Führung vorgelebt wird und damit als akzeptabel oder sogar erwünscht gilt.“

Empfinden Menschen das Gebaren ihrer Chefs als inakzeptabel, hat eine Firma über kurz oder lang ein Problem. „Gerade bei jungen, gut ausgebildeten Mitarbeitern ist die Wechselbereitschaft groß“, sagt Hauptmann. Und weil die Nachfrage nach Fachkräften groß ist, ziehen sie weiter, wenn Chefs Bedürfnisse nicht beachten: „Gerade den ,harten Hunden‘ muss man solche Wirkungsmechanismen von Führung erklären.“

Eine Abstimmung mit den Füßen befürchten die Samwer-Brüder bei ihren Mitarbeitern in Asien, Australien und Südafrika offenbar nicht. Legendär ist eine E-Mail von Oliver Samwer an seine dortigen Teamleiter aus dem Herbst 2011. Darin fordert er „Aggressivität“, einen „Blitzkrieg“ und Geschäftspläne, „die mit Eurem Blut unterschrieben sind“. Mit 20 oder 30 Prozent Marktanteil werde er sich nicht zufriedengeben, 80 Prozent seien möglich.

„Der aggressivste Typ des Planeten“

Oliver Samwer, der mittlere von drei Brüdern, die die erfolgreichsten Internetunternehmer in Deutschland sind, schließt seinen Brief mit den Worten: „Ich bin im Internet der aggressivste Typ des Planeten. Ich werde sterben, um zu gewinnen, und ich erwarte dasselbe von Euch.“

Für Forscherin Wagner ist Oliver Samwer der Prototyp des jungen, knallharten Chefs. „Solche Führungskräfte geben ihren Mitarbeitern keinen Rückhalt bei Schwierigkeiten“, sagt Wagner. Wenn es hart auf hart kommt, stehe ich ohne die Unterstützung da – das sagen vor allem diejenigen, die von harten Hunden geführt werden.

Gegen einen zahlenorientierten Führungsstil ist nach Ansicht des Norwegers Morten Huse, der an der Privatuniversität Witten-Herdecke Management lehrt, erst einmal nichts zu sagen. Wichtig sei allerdings die rechte Balance. Die besten Manager in der Praxis, so Huse, könnten sich unter den 23 Prozent der „Farblosen“ in Wagners Skala verstecken, die sich weder allein dem harten „Bottom-line-Ansatz“ zuordnen lassen noch immerzu integrieren. Hier kommt es auf die rechte Mischung an.

„Ideal ist es, wenn eine Persönlichkeit beides vereint: klare Führung mit Zahlen und Zielen und eine integrative Persönlichkeit“, sagt Huse. „Wenn es gelingt, gleichzeitig Nähe zu den Mitarbeitern aufzubauen und doch Abstand zu wahren.“

Weder Gefühle noch Schwäche zu zeigen

Huse hält das skandinavische Führungsmodell für zukunftsweisend. „Wir müssen auf die Talente jedes Einzelnen bauen und Mitarbeiter auf verschiedenen Hierarchieebenen in Entscheidungen einbeziehen.“ Nur so sei ein Unternehmen in der Wissensgesellschaft überlebensfähig. Noch ist dieser Typus hierzulande offenbar nicht weit verbreite:. „Deutschland ist eine Gesellschaft, in der Regeln und Zahlen traditionell wichtig sind“, sagt Huse. „Da lassen Firmenchefs oft nicht viel Raum für Gefühle und Intuition. Die aber sind auch wichtig für nachhaltigen Erfolg.“

Gefühle oder gar Schwäche zu zeigen kommt für Hartmut Mehdorn, einst Chef von Deutscher Bahn und Air Berlin, inzwischen Chef des Flughafens Berlin Brandenburg, jedenfalls nicht in Frage: „Glauben Sie, dass ein Weichei ein so großes Unternehmen wie die Bahn führen kann? Was meinen Sie denn, was da für einer sitzen muss? Ein Zögerer? Einer, der schreckhaft und zartbesaitet ist? Unmöglich“, gibt er in dem Buch „Die da oben – Innenansichten aus deutschen Chefetagen“ zum Besten.

„Schwäche können Sie zu Hause bei Ihrer Frau zeigen. Dort können Sie, wenn Sie wollen, auch heulen oder jammern. Aber nicht draußen. Das habe ich nie gemacht. Rate ich auch keinem.“ Es herrsche, sagt Mehdorn „am Markt das Gesetz der Gesunden und Starken, nur die überleben“.

Obermann, der Prototyp des Managers

Kai-Uwe Ricke, der von 2002 bis 2006 an der Spitze der Telekom stand, sagt: „Da muss man sich einen Mantel schneidern, damit einem die Dinge nicht so unter die Haut gehen.“ Ricke, heute als Unternehmer und Berater tätig, hat gar körperliche Veränderungen ausgemacht: „Die einen werden dicker. Die anderen werden dünner. Man sieht es ihnen auch an den Augen an, im Wesentlichen an den Augen.“ Er selbst sei hohläugig geworden und wundert sich beim Betrachten alter Fotos noch heute: „Unglaublich, wie ich in der Zeit gealtert bin.“

Ricke-Nachfolger René Obermann ist in den Augen von Forscherin Wagner der Prototyp des Managers, der mit den Jahren weiser und weicher wird. Eine gewisse Verbissenheit sei wichtig, um Vorstandschef zu werden, sagt Obermann. „Die müssen Sie nur irgendwann wieder loswerden, sonst halten Sie so eine Position nicht lange aus. Die eigene Verbissenheit frisst Sie sonst auf.“

Obermann hat von seinem Dasein als Chef eines Großkonzerns jedenfalls genug. In Kürze wird der 50-Jährige seinen Job abgeben und zu einem deutlich kleineren Wettbewerber wechseln – offiziell, weil er wieder mehr mit normalen Menschen und der Technologie zu tun haben will. In „Die da oben“ aber hat er einen Satz gesagt, der auch ganz gut passen würde: „Ich halte das Bild eines immer starken, immer beherrschten, immer unverletzbaren Managers ohnehin für Unsinn. Dieser Managertyp hat seinen Nimbus längst verloren.“

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