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Stimmungskiller im Job Mein Chef, der Miesmacher

Gute Stimmung unerwünscht, Heiterkeit verboten: Manche Unternehmen sorgen für Frost im Büro, damit niemand aufmuckt. Martin Wehrle beschreibt, wie Angst und Konkurrenzdenken die Mitarbeiter betäuben sollen - und Solidarität verhindern.
Übellauniger Chef: Lachen verboten

Übellauniger Chef: Lachen verboten

Foto: Corbis

Beate Knaup, 44, staunte nicht schlecht. Bei ihrer Rückkehr aus der Mittagspause sah sie, wie der Hausmeister ihr Namensschild an der Tür des Zweierbüros abschraubte. "Um Gottes Willen, was machen Sie da!", rief sie. "Nur meine Arbeit. Das Namensschild soll weg." "Aber das ist mein Büro. Hier sitze ich." Er schüttelte den Kopf. "Jetzt nicht mehr. Auftrag vom Chef."

Beate Knaup heißt anders, sie hat mir ihre Geschichte in einem Beratungsgespräch geschildert. Oft höre ich von ähnlichen Fällen. Seit zwei Jahren teilte Knaup ihr Büro mit der Kollegin Susanne. Die beiden waren ein Traumteam, arbeiteten Hand in Hand. Und während die umliegenden Büros still wie das Tote Meer dalagen, hörte man die beiden oft lachen. Ihre gute Stimmung hatten sie bewahrt, obwohl seit einem Jahr Mitarbeiter auf die Straße gekegelt wurden. Damals war das Unternehmen aus langjährigem Familienbesitz in die Hände einer Heuschrecken-Holding gefallen.

Beate Knaup ließ den Hausmeister stehen und rannte zu ihrem Chef: "Warum wird mein Name von der Tür geschraubt?" "Weil Sie in ein anderes Büro kommen. Sie werden das Zimmer mit Herrn Gießbert teilen." "Mit Herrn Gießbert? Was soll das? Susanne und ich harmonieren prima!" Ihr Chef senkte die Stimme: "Genau da liegt das Problem: Sie verstehen sich zu gut!" "Zu gut? Wir mögen uns einfach!" "Sie werden fürs Arbeiten bezahlt, nicht fürs Vergnügen. Wenn es zu lustig zugeht, leidet die Arbeit. Das hat auch eine schlechte Signalwirkung. Die Kollegen arbeiten hart."

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Chef-Typologie: Superstars, kreative Chaoten, Nichtskönner

Foto: Corbis

Beate Knaup war den Tränen nahe. "Aber Susanne und ich haben doch beide unsere Ziele übertroffen!" Nun kehrte der Chef den Oberlehrer raus: "Das ist wie in der Schule. Manchmal muss man zwei Freundinnen auseinandersetzen. Dann können sie sich besser konzentrieren. Und sie stören niemanden mehr."

Auf die Idee, erst mit der Mitarbeiterin zu sprechen, ehe er das Türschild abmontieren ließ, war der Chef nicht gekommen. Sicher war das schon Teil seines Maßnahmenkatalogs, mit dem er seiner Mitarbeiterin die Heiterkeit austreiben wollte.

Lachen nur mit Mundschutz

Wer in solchen Firmen bei der Arbeit lacht, muss einen Mundschutz tragen, sonst macht er sich verdächtig. Lächeln verboten, Mitarbeiter haften für ihre Gesichter. Und wer noch keine schwarzen Ringe unter den Augen hat, sollte sich schleunigst mit Lidschatten welche malen, sonst könnte er in den Verdacht geraten, ein Faulpelz zu sein.

Diese Szene könnte in Tausenden Firmen spielen: Ein paar Mitarbeiter plaudern in der Kaffeeküche, nach anstrengenden Arbeitsstunden. Genau in diesem Moment taucht der Chef auf und sagt: "Ich sehe schon, hier wird hart gearbeitet!" Mag sein, er deutet ein Augenzwinkern an. Doch die Mitarbeiter spüren: Er meint die indirekte Kritik ernst. Ein nettes Wort, ein Blick über die Arbeit hinaus, gute Stimmung gar - unerwünscht.

Ich kenne Fälle, in denen Mitarbeiter abgemahnt wurden, weil sie Mails mit lustigen, aber harmlosen Anhängen an ihre Kollegen weitergeleitet haben. Offizielle Begründung: "Sie gefährden unser Computersystem." Doch in Wirklichkeit sehen die Chefs etwas anderes gefährdet, den hausgemachten Frost. Viele sind noch immer der Überzeugung: Mitarbeiter dürfen bei der Arbeit nichts zu lachen haben. Ohne Schweiß kein Preis!

Wenigstens in dieser Hinsicht sind Chefs gute Vorbilder. Sie rennen in einem Tempo über den Flur, dass jedes Mal, wenn sie zum Meeting-Raum durchstarten, der aktuelle Rekord im Hundert-Meter-Sprint wackelt. Arbeit als Wettkampf, jeder gegen jeden: Deutschland gegen China, Firma gegen Firma, Mitarbeiter gegen Mitarbeiter. Und Mensch gegen Uhr.

Frost im Büro scheint ein gutes Mittel gegen Solidarität unter Mitarbeitern. Wenn jeder weiß, dass die Abrissbirne der Rauswerfer entweder ihn oder den Kollegen trifft, wenn jeder sich selbst der Nächste und der Feind seines Kollegen ist, dann haben die Firmen leichtes Spiel, diesen mit Angst narkotisierten Haufen nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen, von Zumutung zu Zumutung.

Die kälteste aller Welten

Dagegen könnten Kolleginnen, die sich gut verstehen, wie Beate und Susanne, ihre Kräfte bündeln - zum Beispiel Gehaltszahlen austauschen und dabei Ungerechtigkeiten feststellen, gemeinsam pünktlich Feierabend machen, statt sich mit langen Arbeitszeiten unter Druck zu setzen, oder sich mit vereinter Kraft über ihren unfähigen Vorgesetzten beschweren, statt ihn durch Hurra-Rufe und Spitzeldienste zu hofieren.

Die Arbeitswelt ist die kälteste aller Welten. Woher kommt diese Klimakatastrophe, dieses Seelen-Eis?

In Abwandlung von Karl Marx: Die Firmen machen nicht nur die Verhältnisse, sondern die Verhältnisse machen auch die Firmen. Auf den Märkten tobt der Überlebenskampf. Mit Kopfjägern ("Headhuntern") machen die Firmen ihren Konkurrenten die Talente abspenstig. Mit kriegerischem Eifer werfen sie sich in Fusionsschlachten. Wer nicht willig ist, wird mit Gewalt bezwungen, das nennt sich "feindliche Übernahme". Und auf dem Friedhof der Insolvenzen schlummern jene Firmen, deren Bandagen für einen solchen Kampf nicht hart genug waren.

Diese feindliche Atmosphäre schwappt in die Firmen. Ständig lautet die Frage: Sein oder nicht sein? Arbeitsplatz oder Kündigung? Du oder ich? Ein solches Klima wirkt sich auf Mobbing aus wie Eisregen auf Verkehrsunfälle: Es kracht am laufenden Band.

Der Artikel ist ein gekürzter Auszug aus Martin Wehrles Buch "Bin ich hier der Depp? - Wie Sie dem Arbeitswahn nicht länger zur Verfügung stehen". Mehr davon demnächst auf KarriereSPIEGEL.